Projektabschluss PRORETA 2

Neuartiges radar- und kamerabasiertes Fahrerassistenzsystem verhindert schwere Unfälle bei gefährlichen Überholmanövern

PRORETA 2: Continental und Technische Universität Darmstadt stellen nach dreijähriger Forschungsarbeit den Prototypen eines Überhol-Fahrerassistenzsystems vor.

Frankfurt am Main/Darmstadt, den 6. Oktober 2009. Zwei von drei Unfalltoten sind bisher in Deutschland auf Landstraßen ums Leben gekommen. Überhol­vorgänge sind häufig die Ursache solcher schweren Unfälle mit Schwerverletzten und Getöteten. Der internationale Automobilzulieferer Continental hat heute in Darmstadt ein zusammen mit der Technischen Universität Darmstadt im Rahmen der zweiten Stufe der interdisziplinären Forschungskooperation PRORETA entwickeltes Fahrerassistenzsystem vorgestellt, das gefährliche Überholmanöver frühzeitig erkennt und dabei hilft, Unfälle zu vermeiden. „Der Prototyp dieses Überhol-Fahrerassistenzsystems zeigt, dass die komplexe Technik mit Radar- und Video-Umfeldsensorik sowie Eingriffen in die Bremse realisierbar ist“, sagte Dr. Peter Rieth, Leiter Systems & Technology Division Chassis & Safety. Der Weg zu einer Serieneinführung im vollen Systemumfang sei allerdings noch sehr lang, „denn neben der technischen Umsetzung zur Serienreife tangieren auch Akzeptanzfragen ein solches System“, so Dr. Rieth.

Radar- und Videosensoren liefern exakte Übersicht des Fahrzeugumfelds

PRORETA 2 ist die Fortsetzung des ersten PRORETA-Projekts, bei dem in der Zeit von 2003 bis 2006 Grundlagen eines Brems- und Ausweichassistenten erforscht wurden, der bei plötzlich auf der Fahrbahn auftauchenden Hindernissen versucht, einen Unfall zu vermeiden. Aufgabenstellung für PRORETA 2 war es, neben solchen Notsituationen nun auch klassische Überholmanöver mit Gegenverkehr zu analysieren und Gefahrensituationen durch geeignete Gegenmaßnahmen zu entschärfen.

Zur Erfassung des Fahrzeugumfelds wurde das Versuchsfahrzeug mit einer Entwicklungsplattform nebst Video- und Radarsensorik ausgestattet. Hinzu kommt der aktive Eingriff in die Bremse. Die Videodaten dienen dazu, eine Objekt- und eine Freiflächen-erkennung durchzuführen. „Diese Informationen werden in einem nächsten Schritt mit den Radardaten in einem Objekttracking und einer Grid-basierten Umfeldrepräsentation fusioniert“, erläuterte Prof. Dr. Bernt Schiele vom Fachgebiet Multimodale Interaktive Systeme der TU Darmstadt. „Durch die Zusammenführung von Video- und Radardaten entsteht ein elektronisches Abbild des Fahrzeugumfelds und damit die Basis für eine Situationsanalyse“, so Prof. Dr. Hermann Winner vom Fachgebiet Fahrzeugtechnik.

Das System berechnet permanent anhand der Sensor- und Fahrdynamikdaten die Position des eigenen, des vorausfahrenden und des eventuell entgegenkommenden Fahrzeugs und bestimmt, ob der Weg für ein sicheres Überholmanöver ausreicht. „Stellt das System beim Ausscheren fest, dass es zu einer Gefährdung des entgegenkommenden oder des zu überholenden Fahrzeugs kommen könnte, warnt es den Fahrer mit gestuft zunehmender Intensität, um ihn zum Abbruch des Überholmanövers zu bewegen“, sagte Prof. Dr. Isermann vom Institut für Automatisierungstechnik. Die Warnungen erfolgen im vorgeführten PRORETA-Fahrzeug optisch durch eine Anzeige im Display, akustisch durch eine Sprachwarnung und mittels haptischer Rückmeldung über ein aktiv vibrierendes Gaspedal. Zeigen diese keine Wirkung, greift das System ein und bremst das Fahrzeug durch elektronische Ansteuerung der Bremsanlage hinter das Vorderfahrzeug zurück, so dass der Fahrer hinter diesem einscheren kann. Der Fahrer kann natürlich das System zu jeder Zeit überstimmen. Wie Warnungen in Serienfahrzeugen umgesetzt werden, ist vom Fahrzeughersteller abhängig.

Continental förderte die Forschungsarbeiten der im Projekt zusammenarbeitenden Institute für Automatisierungstechnik (Prof. Rolf Isermann), Fahrzeugtechnik (Prof. Hermann Winner) sowie Multimodale Interaktive Systeme (Prof. Bernt Schiele) der TU Darmstadt. Die Arbeiten wurden von vier wissenschaftlichen Mitarbeitern geführt.

Langjährige Kooperation zwischen Industrie und Hochschule

Mit der Technischen Universität Darmstadt verbindet die Continental Division Chassis & Safety eine langjährige Partnerschaft. Das erste gemeinsame Forschungsprojekt mit dem Fachgebiet Fahrzeugtechnik begann schon in den 80er Jahren. Prof. Hermann Winner betonte: „Projekte wie PRORETA sind uns wichtig. Sie ermöglichen unseren Studierenden eine spannende Forschungsarbeit mit enger Anbindung an Industrieunternehmen.“ Dr. Rieth verdeutlichte die Intentionen von Continental: „Wir sehen es als unternehmerische Aufgabe, die Kooperation von universitärer Wissenschaft und Industrie stärker zu fördern und Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter möglichst früh an industrierelevante Entwicklungsaufgabenstellungen heranzuführen. Dazu möchten wir unseren aktiven Beitrag leisten. Er hilft uns unser Sicherheitssystem ContiGuard weiter voranzubringen und die Vision eines Straßenverkehrs ohne Tote und Schwerverletzte ein Stück mehr Wirklichkeit werden zu lassen.“

ContiGuard® integriert aktive und passive Sicherheitssysteme und Umfeldinformationen in ein umfassendes Fahrzeug-Sicherheitssystem, dessen Gesamtwirksamkeit wesentlich über die Summe der einzelnen Teilsysteme hinausgeht. Damit wird das Potenzial zur Unfallvermeidung respektive zur Reduzierung der unfallbedingten Verletzungen erheblich erweitert.

Zur Fortsetzung der erfolgreichen Zusammenarbeit von Continental und der TU Darmstadt wurde auf der PRORETA 2 Abschlussveranstaltung ein umfassender Kooperationsvertrag beider Partner für zukünftige gemeinsame Projekte und Forschungsansätze im Bereich der Fahrzeugsicherheit unterschrieben.

Zwei Drittel aller tödlichen Unfälle passieren auf der Landstraße

Auch wenn die deutschen Autofahrer Landstraßen für sicherer halten als Autobahnen oder den Stadtverkehr: Die Fahrt über Land birgt ein erheblich höheres Unfall- und Todesrisiko als die meist schnellere Autobahnfahrt. Zwei von drei Verkehrstoten sind auf Kreis-, Landes- und Bundesstraßen zu beklagen. Dort starben im vergangenen Jahr rund 3000 der insgesamt 4477 Verkehrstoten. Die Gründe dafür sind vielfältig: Anspruchsvoller Straßenverlauf, schmale Fahrbahnen, Gegenverkehr und praktisch jede Art von Verkehrsteilnehmer, von landwirtschaftlichen Sonderfahrzeugen über Motorräder, Fahrräder, Busse, Pkws und Lkws bis hin zu Fußgängern. Die stark unterschiedlichen Geschwindigkeitsprofile dieser Verkehrsteilnehmer erzeugen ein erhöhtes Überholverlangen, das vor dem Hintergrund gleichzeitigen Gegenverkehrs zu oftmals lebensgefährlichen Verkehrssituationen führt. Das heute vorgestellte Fahrerassistenzsystem soll Fahrzeugführer sowohl bei der Überholentscheidung als auch im Verlauf des Überholvorgangs selbst assistieren und damit gefährliche Fahrsituationen im Ansatz vermeiden helfen.

Der Continental-Konzern gehört mit einem Umsatz von mehr als 24 Mrd Euro im Jahr 2008 weltweit zu den führenden Automobilzulieferern. Als Anbieter von Bremssystemen, Systemen und Komponenten für Antrieb und Fahrwerk, Instrumentierung, Infotainment-Lösungen, Fahrzeugelektronik, Reifen und technischen Elastomerprodukten trägt das Unternehmen zu mehr Fahrsicherheit und zum Klimaschutz bei. Continental ist darüber hinaus ein kompetenter Partner in der vernetzten, automobilen Kommunikation. Das Unternehmen beschäftigt derzeit rund 130.000 Mitarbeiter an nahezu 190 Standorten in 35 Ländern.

Die Automotive Group gehört zu den weltweit führenden Automobilzulieferern und erzielte mit den drei Divisionen Chassis & Safety (5,1 Mrd € Umsatz, 27.000 Mitarbeiter), Powertrain (4 Mrd € Umsatz, 25.000 Mitarbeiter) und Interior (5,9 Mrd € Umsatz, mehr als 30.000 Mitarbeiter) im Jahr 2008 einen Umsatz von rund 15 Mrd €. Die Automotive Group ist an über 130 Standorten weltweit aktiv. Als Partner der Automobil- und Nutzfahrzeugindustrie entwickelt und produziert sie innovative Produkte und Systeme für eine moderne automobile Zukunft, in der individuelle Mobilität und Fahrfreude mit Fahrsicherheit, Umweltverantwortung und Wirtschaftlichkeit in Einklang stehen.

Die Division Chassis & Safety entwickelt und produziert elektronische und hydraulische Brems- und Fahrwerkregelsysteme, Sensoren, Fahrerassistenzsysteme, Airbagsysteme, Scheibenreinigungs-systeme sowie elektronische Luftfedersysteme. Kernkompetenz ist die Integration aktiver und passiver Fahrsicherheit in ContiGuard®. Die Division Powertrain integriert innovative und effiziente Systemlösungen rund um den Antriebsstrang. Das Produktportfolio reicht von Benzin- und Dieseleinspritzsystemen über Motor- und Getriebesteuerungen inklusive Sensoren und Aktuatoren sowie Kraftstofffördersysteme bis hin zu Komponenten und Systemen für Hybridantriebe. In der Division Interior dreht sich alles um das Informationsmanagement. Zum Produktspektrum gehören Instrumente und Multifunktionsdisplays, Kontroll- und Steuergeräte, elektronische Fahrzeug-Zugangssysteme, Reifeninformationssysteme, Radios, Multimedia- und Navigationssysteme, Klimaanlagensteuerungen und -bedienungen, Telematiklösungen sowie Cockpits.

Die TU Darmstadt zählt zu den führenden Technischen Universitäten in Deutschland. In den renommierten Rankings der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Alexander von Humboldt-Stiftung, des Centrums für Hochschulentwicklung sowie in einschlägigen Umfragen bei Personalvorständen bedeutender Unternehmen beweist die TU Darmstadt immer wieder ihre Spitzenstellung in Forschung, Studienqualität und Qualifizierung für beste Chancen und Positionen.

Die TU Darmstadt ist die erste autonome Universität in Deutschland und verfügt über einen Etat aus Landesmitteln in Höhe von 238 Millionen Euro (Stand: 2009, inkl. Baumittel). Die Innovationskraft der TU Darmstadt drückt sich auch im jährlich wachsenden Drittmittel-Budget aus: Mit 92,5 Millionen Euro (Stand: 2009) von der Industrie, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Europäischen Union gehört sie zur Spitzenklasse der Universitäten in Deutschland.

Rund 270 Professoren, rund 3500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie rund 19.000 Studierende widmen sich an der TU Darmstadt entscheidenden Zukunftsfeldern wie Energie und Mobilität, Kommunikation und Information, Bauen und Wohnen. Die vielfältigen Disziplinen der Universität konzentrieren sich alle auf Technik – aus der Perspektive der Ingenieur-, Natur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften – von der Erkenntnis bis zur Anwendung im Alltag.